Das Ende der Welt hat einen kurzen Namen und einen langen Nachhall. Plinz liegt derart abgeschieden, dass kein Mobilfunkanbieter es geschafft hat, sein Netz bis hierhin auszuwerfen. Wer aber einmal an das Fleckchen Erde im Saale-Holzland-Kreis gelangt ist, kommt aus dem ungläubigen Staunen nicht mehr heraus – und höchstwahrscheinlich wieder. Denn der Skulpturengarten des Künstlers Jochen Bach verströmt eine geradezu unwirklich intensive Schönheit.
Die Frage, ob man nicht längst falsch ist, endet erst am Ziel. Der schmale Streifen aus Asphalt, der sich bis Plinz zieht, dient lediglich zur Abdeckung der verlegten Wasserleitung, der Rest ist Waldboden. Biegt man dann rechts in die kleine Kurve, erledigen sich alle Zweifel – die ersten Skulpturen ziehen sofort Gäste in den Kunstkosmos, den Jochen Bach hier ab den 1990ern erschaffen und immer wieder erweitert hat. Sein „Garten der Stille“ hat viele Abteilungen – märchenhafte, skurrile, mystische, zärtliche, ironische. Meist überlebensgroße Figuren bevölkern den Garten der Vögel, der Steine, der Frösche, des krummen Holzes und andere.
Hinter Hecken, Bäumen und falschem Genitiv tragen nackte Frauen und Männer „dem Kaiser seine neuen Kleider“ und blicken fröhlich-unschuldig aus der nicht vorhandenen Wäsche. Ein Träumer betrachtet entrückt eine wohlgeformte Schönheit, eine Besuchergruppe trägt weiße Anzüge, wenige Meter weiter übt ein Punk den Handstand. Alle Szenarien sind gerahmt von bunten Blüten und einer regelrechten Chlorophyll-Explosion farbsatten Grüns.
Die Geschichte dieses einzigartigen Ortes in Thüringen wurzelt in einer seit Jahrzehnten dauernden Liebe und im Besitz eines Pferdes. Jochen, geboren 1942 in Markkleeberg, lernte als Architektur-Student in Weimar die knapp neun Jahre jüngere Gisa kennen. „Nach zehn Minuten Gespräch beim Essen in der Mensa wusste ich, dass ich dieses Mädchen heiraten würde“, sagt der 79-Jährige. Eine Unbeirrbarkeit, die auch der jungen Frau imponierte. Die beiden wurden ein Paar, und bald ein halbes Jahrhundert ist es her, dass sie ein Grundstück mit eigenem Stall für Bachs Pferd suchten. Fündig wurden sie in dem abgeschiedenen Nest bei Milda, 20 Kilometer von Jena entfernt.
Die alte Plinzmühle allerdings, erstmals im Jahr 1541 erwähnt, war Anfang der 1970er Jahre im Prinzip nur noch ein von Zement zusammengehaltener Steinhaufen. Um die Wiederbelebung zu schaffen, „musste man jung und ein bisschen verrückt sein“, sagt Gisa Bach heute lächelnd. Den Eltern zweier Kinder gelang der Kraftakt, und mit den Jahren etablierten sie eine Galerie, die zum kulturellen Treffpunkt für alle Interessenten von Malerei, Fotografie, Skulpturen und Keramik, aber auch der Kleinkunst wurde.
Parallel zur allmählichen Verwandlung des etwa dreiviertel Hektar großen Freigeländes luden die Bachs ab den 1990ern zu Veranstaltungen zwischen Lesung, Theater und Musik ein. Hier entstand ein dicker Strang nach Leipzig, der bis heute hält: Frank Oberhof wurde auf die Plinzmühle aufmerksam. Der Chef des Liedertour-Vereins, der gerade sein 30-jähriges Bestehen mit einer
Gala im Mendelssohn-Saal des Gewandhauses feierte, vermittelt unermüdlich und aus reinem Enthusiasmus Künstlerinnen und Künstler an Orte, an denen Herz und Seele mehr zählen als Gage. Davon lassen sich Newcomer und Etablierte gleichermaßen anstecken, unter anderem Dirk Zöllner oder Manfred Maurenbrecher. Dessen Album „Inneres Ausland“ zeigt als Cover jene Figur, die Plinz-Besucher an der Einfahrt zum Gelände sehen: das Alter Ego von Jochen Bach am Harmonium.